Schluss mit Drängeln und Schubsen

stadtbahnprojekt2011

Es ist ein Test. Ganz still an der Haltestelle „Schule“ in Obersulm-Sülzbach stehen und aufpassen. Lässt sich die Stadtbahn hören, erlauschen, wenn sie sich nähert? Vielleicht, wenn man ganz leise ist? Die Fünftklässler der Michael-Beheim-Schule probieren es an ihremVerkehrspräventionstag aus.
Konzentriert Ordentlich aufgereiht stehen die Schüler hinter der weißen Linie am Bahnsteig, drehen den Rücken in Richtung Öhringen und horchen. Mit geschlossenen Augen, konzentriert gespitzten Lippen, keiner will sie verpassen. Als die Bahn einfährt und die Ersten zum Zeichen die Arme heben, sind die gelb-roten Wagen schon ganz nah.
„Oooh“, raunt es durch die 46 Jungen und Mädchen. Sie verstehen: Ist die Stadtbahn auch bei angestrengtem Lauschen kaum zu hören, wird es bei den üblichen Scherzen und Rangeleien am Bahnsteig erst recht gefährlich. Blitzschnell kann ein Kind vom Zug erfasst werden.
Diese und andere Gefahren beim Stadtbahnfahren, das richtige Verhalten am Bahnhof und im Zug: All das ist Thema beim Verkehrspräventionstag, den der Kiwanis-Club Weinsberger Tal organisiert hat. Zusammen mit Beamten der Polizeidirektion und der Bundespolizei Heilbronn und Mitarbeitern der Deutschen Bahn wollen die Clubmitglieder die Fünftklässler zu sicheren Bahnfahrern machen.
Was so gefährlich daran ist, am Rand des Bahnsteigs zu stehen? Das zeigt Jürgen Blaschke von der Heilbronner Polizei mit dem Papierstück „Fritzchen“. Nah an der Tischkante fächelt Blaschke mit einem Papier Luft in Richtung der Figur, einem heranfahrenden Zug gleich. Fritzchen kippt prompt vom Tisch, ein eindrucksvolles Experiment für die Kinder.
Nun ist die Stadtbahn aber endlich da, und damit geht es zum Heilbronner Hauptbahnhof. Dort wollen die Kiwanis den Schülern das Stellwerk, die Bundespolizei und die Bahnhofsmission zeigen.
Kaum sitzen die Schüler in der Bahn, packen sie Stickeralbum und Karten aus, unterhalten sich, lachen. Die Fahrt ist Alltag geworden, beeindruckt sie nicht mehr.
Das war am Anfang des Schuljahres nochganz anders. Mit dem Übergang in die Hauptschule wurden aus den Kindern erstmals Stadtbahnfahrer. „Es gab am Anfang viel Stress und Konflikte“, erinnert sich die Lehrerin Herta Metzger-Ruppert. Drängeln, schubsen, den Ranzen auf die Gleise werfen, am Bahnsteigrand die Beine baumeln lassen: Die Lehrerin ging oft mit zur Haltestelle, um einzugreifen, Sicherheit zu geben. „Die Schüler erzählen ja nicht mehr alles.“
Konflikt Ja, sie sprechen ungern über schlechte Erfahrungen. „Es ist schon passiert, dass ein Handy aufs Gleis geworfen wurde und ein Junge das dann geholt hat“, hat Nathalie Hermann beobachtet. Einzugreifen, das traut sich die Elfjährige nicht. „Wenn ich was sage, und es sind Große, habe ich Angst, dass ich selbst in einen Konflikt komme.“
Es bleibt ein Dilemma. Kann der Verkehrspräventionstag helfen, es zu lösen? Ja, glaubt die zwölfjährige Safak Tubay. „Man weiß jetzt, wie man sich verhalten soll.“ Auch Gisa Maxeiner, Mutter eines Fünftklässlers, hofft auf Einsicht bei den Schülern. „Man sieht vereinzelt, dass sie wirklich betroffen sind.“

Artikel von Kathrin Baumann in HSt 8.6.2011